Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit?

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FDP: Die neuen Rechtspopulisten?


Update, 14. April 2022: Ich habe seit ein paar Monaten ein automatisches Löschen meiner Tweets, die älter als 6 Monate sind, eingestellt. Dadurch funktionieren unten einige Links nicht mehr.


Dass die FDP sich gerne auch von Leuten wählen lassen würde, die sonst eher AfD wählen, ist ja nicht neu. Nun gibt es anlässlich der Nazikrawalle in Chemnitz neues Futter für diese Behauptung.

Antifaschismus?

Zum einen möchte die FDP sich anscheinend nicht als „antifaschistisch“ verstehen. Eine Zustandsbeschreibung, die eigentlich für jede demokratische Partei in Deutschland nach 1945 selbstverständlich sein sollte.

Meine durchaus ernstgemeinte Frage

„Sind Sie eine überzeugte gewaltlose Antifaschistin?“

an FDP-Generalsekretärin Nicola Beer war Anlass für sie, mich auf Twitter zu blockieren.1 Eine Antwort habe ich nicht bekommen. Nicola Beer scheint also nicht hinter einem gewaltlosen Antifaschismus zu stehen, was ich für eine angebliche Partei der Mitte für äußerst bedenklich halte.

Dieser Vorfall reiht sich allerdings nahtlos in die jüngsten rechtspopulistischen Ausfälle von FDP-Politikern ein. So behauptete Sebastian Czaja, der Vorsitzende der FDP-Faktion im Berliner Abgeordnetenhaus:

„Antifaschisten sind auch Faschisten. […]“

Damit bedient er wie ein Paradebeispiel die schwachsinnige Hufeisentheorie, dass Linksextremismus genauso schlimm sei wie Rechtsextremismus. Dass Nazis Menschen umbringen wollen (und das auch schon wieder viel zu oft tun) halten die Verfechter der Hufeisentheorie für genauso schlimm, wie die Sachschäden, die durch (vermeintlich) linksextreme Menschen verursacht werden.

Merkel ist schuld?

Damit nicht genug, auch weitere namhafte FDP-Politiker haben sich zu den Nazikrawallen in Chemnitz geäußert. Sie haben aber nicht etwa insbesondere die Nazigewalt verurteilt, nein, zunächst haben sie Angela Merkels Flüchtlingspolitik als den Grund allen Übels benannt.2 Ganz eindeutig hat das der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, getan („Wurzeln für Ausschreitungen liegen im ‘Wir-schaffen-das’ von Merkel“), der dafür auch prompt von Rechtsaußen (Erika Steinbach) Beifall bekommt.

Dass Kubicki mit diesem Unsinn den Nazimythos bestätigt, dass die Flüchtlinge schuld seien an Deutschlands angeblich schlechter Lage, ist leider wohl Kubickis Kalkül, um ein paar AfD Wähler*innen abzugraben.

Auch der Parteichef Christian Lindner lässt sich nicht lumpen und kann nicht umhin, Angela Merkels Migrationspolitik in Zusammenhang mit den Nazikrawallen in Chemnitz zu kritisieren:

„Die Migrationspolitik von Angela #Merkel hat unsere politische Kultur verändert. Zum Schlechteren. Aber das ist keine Erklärung und keine Entschuldigung für Hetze, Rassismus oder Gewalt. […]“

Dass er dabei einer derjenigen ist, die den latenten Rassismus zur Schau stellen, den er beklagt, scheint für ihn kein Problem zu sein. Das zeigte sich zum Beispiel bei seiner Bäcker-Anekdote:

„Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hoch qualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer.“

Und dann fällt Herrn Lindner zu den unter dem Hashtag #MeTwo gesammelten Erfahrungsberichten, von Menschen, die von Rassismus betroffen sind, auch nichts weiter ein als mit Rassismus zu antworten: Die #MeTwo Debatte sei einseitig, da die Türken freiheitliche Werte nicht schätzen würden und Erdogan gut fänden. Hätte er einfach mal den Mund gehalten und zugehört. Tut er aber nicht. Die jüngsten verbalen Ausfälle seiner Parteikolleginnen zeigen für mich inzwischen ganz klar: Die FDP fischt ganz offensichtlich am rechten Rand. Wählerinnen zu bekommen scheint ihr wichtiger zu sein, als die Menschenwürde zu achten. Nach dem (zu erwartenden) Totalausfall der CSU und im Angesicht der Hochkonjunktur der Menschenfeinde eine besorgniserregende Entwicklung.

P.S.: Ich bin weit davon entfernt, mit der FDP zu sympathisieren. Deren Wirtschaftspolitik (die gefühlt 90% der Partei ausmacht) halte ich für absolut unverantwortlich. Der bürgerrechtliche (noch tatsächlich liberale) Teil der Partei, der sich z.B. gegen Uploadfilter und Internetzensur stark macht, ist m.E. der einzige Grund, doch etwas Gutes an der FDP zu finden.

Update, 17:45 Uhr: Keine anderthalb Stunden nach Veröffentlichung dieses Artikels wird meine These erneut bestätigt. Diesmal von der Vorsitzenden der AG Europa, FDP Brandenburg, die, im Einklang mit den Rechtspopulisten dieses Landes, nun auch „Ausländer abschieben“ ruft und Nazis bekämpfen für weniger wichtig hält. Das. Problem. Sind. Die. Nazis. Nicht die Migration. AfD kopieren stärkt die Nazis nur.

Update, 24.10.2019:

Da die FDP sich immer noch auf dem Kurs nach rechtsaußen befindet und ich auf Twitter immer mal wieder Unverständnis für diese Aussage bekomme, füge ich hier noch einen Link zu einer deutlich umfangreicheren Liste mit Belegen vom ehemaligen FDP’ler Chris Pyak an. Chris Pyak ist wegen des Rechtsrucks aus der FDP ausgetreten.


  1. Eventuell war der Anlass auch mein ironisch angehauchter Kommentar zu ihrem Rumgedruckse (bzw. das ihres Teams; die ganze Twitterdiskussion ist zum Davonlaufen) ob sie eine überzeugte Antifaschistin sei: „So lange die FDP ihr Neoliberalismus-Problem nicht in den Griff bekommt, ist für die Freiheit zu sein eben nicht gleichbedeutend mit für die FDP zu sein.“ ↩︎

  2. Dass die Migrationspolitik der Union seit jeher und in den letzten Jahren verstärkt vor allem auf eine Abschottung Europas ausgelegt ist, und nicht etwa, wie von rechter Seite behauptet, in irgendeiner Art und Weise links ist, nur mal am Rande. ↩︎

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